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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Zu Besuch bei Raquel Barrios aus „25 de Diciembre“
von Hermann Schmitz † 30.03.2019
17.09.10     A+ | a-
Raquel Barrios ist eine der StipendiatInnen aus der Campesinokolonie „25 de Diciembre“, die wir seit Anfang 2010 auf dringenden Wunsch von CCDA, vor allem der Leiterin Ada, unterstützen. Es sind die 18jährige Raquel (Agronomie), Maria Portillo (Krankenschwester), Hugo Garcete und Adolfo Martínez (Landwirtschaft). Alle vier sind Absolventen der „Ökologischen Landwirtschaftschule ´San Juan´“ von Regina Marecos, unser wichtigstes PPI-Projekt seit 15 Jahren  -  zuletzt fort geführt mit dem Bau der organischen Zuckerfabrik.
Es waren ursprünglich nur zwei Stipendien vorgesehen von je 200 Euro monatlicher Unterstützung, aber Raquel und Adolfo drängten nach, Raquel wurde dabei sehr in ihrem Wunsch unterstützt von CCDA-Leiterin Ada. Sie sind lernbegierig und hoch motiviert, und so wurde das Geld unter vieren aufgeteilt, das war für sie ein ganz normaler solidarischer Akt. Die vier studieren an der Universität von Santani (ca. 50 km nördlich)  -  und zwar abends, denn tagsüber lernen sie ökologische Landwirtschaft und helfen auf der häuslichen finca (Feld)  -  ein ungemein anstrengendes Lern- und Arbeitspensum.
Gegenüber CCDA und damit gewissermaßen auch gegenüber PPI verpflichten sie sich zur tüchtigen Mitarbeit in der häuslichen Landwirtschaft erfolgreichen und regelmäßigen Studienleistung und aktiven Beteiligung in ihrer Organisation um weiterhin ihre Studienbeihilfe zu erhalten.
Hugo fehlt auf dem Foto, links steht Raquel, neben ihr Adolfo und rechts Maria.
Sie sind mit anderen Mitgliedern der „Asociación de Pequeños Productores Agroecológicos“ (Vereinigung der ökologisch-landwirtschaftlichen Kleinerzeuger) von 25 de Diciembre. „25. Dezember“  -   in Paraguay sind viele Ortsnamen schlichte Daten, hier ist es der Tag der Übereignung von Land an die Campesinogruppe, die jahrelang dafür gekämpft hatte. Etwa 60 Familien haben sich vor 8 Jahren in 7 „Basiskomittees“ zusammen geschlossen, um ihr Land (7 ha pro Familie) ökologisch zu bewirtschaften. Unsere Partner von CCDA (Landwirtschaftliches Ausbildungszentrum) begleiten sie dabei, leiten sie an und vermitteln der Gemeinschaft, die bald eine „richtige“ Kooperative werden will, über das Technische hinaus weit mehr Lerninhalte, wobei die Campesinos Protagonisten ihrer eigenen Entwicklung sind.
Jeden Monat treffen sich alle Erzeuger, heute aber nur die vier Stipendiaten, ihre Eltern (Väter) und die beiden Ausbilder Carlos Bordón und Claudino Villalba.
CCDA hat ein Schulungsbüro in 25 de Diciembre gebaut mit Aufenthalts- und Schlafraum für die wechselnden Ausbilder, wo auch wir die Nacht verbringen auf denkbar „rustikale Art“.
Tags zuvor hatten wir Haus und finca des Isabelino Garcete, Vater unseres Stipendiaten Adolfo, besucht. Am Anfang stand ein doppeltes Gruseln: Frau Garcete nahm gerade ein jacaré (Kaiman) aus, holte das Fleisch aus den beiden Köpfen, als seien es keine Echsen, sondern Hühnchen. Zum Trocknen wurden Kopf und Panzer auf die Leine gehängt.

Dann der Schrecken paradox wegen des wunderschönen Tukan, den Garcete am frühen Morgen nebenher beim Krokodilangeln erlegt hatte. Dr. Cano, Oscar  und ich waren erschrocken über den Naturfrevel, gleichzeitig wie geblendet von dem wunderschönen Schnabel und dem mit dichten schwarzen Federbüscheln gesäumten Kopf, aus dem uns die dunklen Augen anschauten, als sei der prächtige Vogel noch am Leben. Schaurig schön.
Garcete schien unser Unbehagen zu bemerken an dem, was für ihn Jägerglück war. 18 Tukane habe er in dem Schwarm am Urwaldfluss gezählt, es gebe dort an seinem bevorzugten Jagdrevier mehr als genug, und das Fleisch sei sehr lecker und eine willkommene Abwechslung, zu der auch jacarés und curiyús (Anakondas) gehörten.
Dann kratzte er die letzten Fleischreste aus dem Kopf und erklärte mir, wie die Trophäe am besten zu trocknen sei, denn er wolle mir den Tukankopf  -  schenken! Das sei ihm die größte Freude, denn er bemerke wohl, wie sehr mich das Tier fasziniere ....  Und ich? Nahm das Geschenk an, Oscar packte es gut ein....  (Inzwischen hat es die Nachbarkatze aus seinem Garten geklaut .....)

Garcete also ist einer der „Pequeños Productores Agroecológicos“ YOAYU RECAVO (Neubeginn), wobei wir das letzte der drei Wörter nicht mehr so ganz ernst nehmen können. Die Ökologie soll wohl nur auf dem Acker stattfinden, auf den wir uns jetzt begeben. Vorher stolpern wir aber noch über eine andere Ökosünde, die allerdings der paraguayische Staat zu verantworten hat. Die „Acepar“, einzige Stahlfabrik des Landes, bedient die Feuerchen, über denen das Erz geschmolzen wird   -   mit Holzkohle!!! (Damit steht man weltweit einzigartig da  -  wahrlich kein Grund, stolz zu sein!)  Im ganzen Land stehen Meiler, wie Kunstobjekte fast und schön anzusehen, in denen die Holzkohle für den immensen Bedarf der Stahlschmelze gebacken wird. Ein gemeineres Projekt zur Vernichtung von Urwald kann es kaum geben!

So miserabel der Erlös aus dem schwarzen Stoff auch ist, ein bisschen Bargeld lässt sich immer damit machen, Acepar kauft alles wie es kommt. Und so hat der unökologische Nachbar Garcetes auch so einen Nebeneinkunftsmeiler auf seinem Grundstück stehen. Wir spielen Verstecken in dem Rauch, lassen uns die Technik erklären.

Der Nachbar schmiert gerade Löcher zu. Ein Sack Kohle bringt ca. 30 Cent, da muss schon ein Lastwagen voll beladen werden, damit sich die Knochenarbeit  -  vom Abholzen über das Zerteilen bis zum Meilerbau, Einsetzen, Ausräumen und Verladen  -  auch nur einigermaßen lohnt (ca. 50 Euro).Jetzt aber auf den Acker! Die achtköpfige Familie teilt sich die Arbeit und den Ertrag aus einem Anbau, den zu lernen Señor Garcete nicht leicht fiel, wie er betont: Vier verschiedene Nutzpflanzen auf demselben Feld  -  das gab es doch früher nie! Jetzt aber wachsen Manniok, Mais, Bohnen und Erbsen nicht nur einträchtig nebeneinander, sondern begünstigen sich auch gegenseitig in ihrem Wachstum. Für den Verkauf und die Erzielung von Bargeld baut Garcete Bataten an, wunderbar rote leuchtende Knollen, die er putzt, wie um ihre Schönheit zur Geltung zu bringen. Zwischen 1000 und 1500 Guaraníes (25 Eurocent) erzielt er für das Kilogramm, da kommt einiges zusammen. Seine sieben ha hat er zu 80% bepflanzt, 20% bleiben als ökologische Reserve.
Ein großer Teil ist für Manniok vorgesehen  -  natürlich, allein seine Familie und die Schweine verbrauchen ca. 50 kg pro Tag, der Rest geht in den Verkauf oder wird zu Manniokstärke verarbeitet. Toll zu sehen, wie mit einem gekonnten Ruck die Knollen  -  möglichst mitsamt den Ablegern  -  aus dem roten Boden geholt werden. Im Manniokwald kann man sich nicht verlaufen.
Die Maiskolben sind klein, aber von der leckeren Sorte. Fast so unentbehrlich wie die mandioca, wird der Mais in allen Variatonen verarbeitet, vorzugsweise für die Zubereitung der klassischen „Sopa Paraguaya“, dem gar nicht suppigen Maisauflauf.

Dr. Cano lässt mich überprüfen, ob das Süßkraut „Kaá Heé“ auch wirklich süß ist. Und wie!

Auf dem Programm steht noch eine zweite finca, sie gehört Zacarias Portillo, Vater unserer Stipendiatin  Maria, die Krankenschwester werden will.
Portillo  verarbeitet Bitterorangen -pflanzen zu Petit Grain-Essenz als rubro de renta („Erwerbszweig“), womit er das nötige Geld für die fünfköpfige Familie erzielt. 10.000 in Reihen geordneter kleiner Bäumchen passen auf 1 ha  -  aus zwei Jahresernten gewinnt er 33 kg Essenz pro Hektar Boden, so viel hat er bepflanzt.
Der Marktpreis pro kg beträgt 85.000 G., etwa 14 Euro  -  aber was für eine Mühe und Zeit braucht es, bis aus Blättern der Pflanze durch „Kochen“ über ständigem Feuer ein Liter Petit Grain destilliert ist!
„Aus den Zweigen einer Pflanze gibt es nur ein paar Tropfen“, so Portillo, „aber wenn ich zusammen rechne am Ende des Jahres, lohnt es sich eben doch, man darf nur die Arbeitskosten nicht so genau nehmen....“ Er lacht, weil ich ihn verständnislos anschaue, und fügt hinzu: “Den Stundenlohn rechne ich lieber nicht aus, da würden wir es vielleicht doch eher lassen!“
Petit Grain ist nach wie vor ein wichtiger Basisstoff z. B. für die Herstellung von Parfüm. Wenn ich demnächst in Deutschland an einer gut riechenden Frau vorbei komme, werde ich bestimmt an Portillos Bitterorangen denken.

Wir gelangen jetzt zu einem uns merkwürdig anmutendem Feld mit lauter flach liegenden statt hoch wachsenden Stämmen.
Es sind mamón – Bäumchen, Papaya, nach zwei Jahren muss die Pflanze „erneuert“ werden, um wieder gute Erträge zu liefern. Und die können sich sehen lassen! Rechenaufgabe: Auf den Hektar gehen 1000 Bäumchen. Zweimal im Jahr kann die Familie ernten, pro Pflanze sind es 25 bis 30 kg. Erlös pro kg = 500 Guaraníes, das sind 8 Eurocent. Die Menge aber bringt´s.

Uns erstaunte das hohe Maß an Kenntnissen und an Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge, welches diese Campesinos sich in Jahren erworben haben.
Und das sie an ihre Kinder weiter geben. Was unsere Stipendiaten ihrerseits an Neuem lernen, vermitteln sie zuhause. 
Alle profitieren.

Auf kluge und ökologische Weise genutzter Boden (die vier Sorten zusammen auf einem Feld sind nur ein Beispiel) haben diese Familien aus ihrer langen Abhängigkeit befreit.
Die Eigenversorgung mit gesunder Nahrung ist gesichert, durch Vermarktung in bescheidenem Rahmen kommt Geld in die Familienkasse für Anschaffungen, Haus, Ausbildung, Gesundheit.
Am Nachmittag noch ein Besuch: Von der Ruta 3 biegen wir bei km 126 ab auf den roten Erdweg, und nach knapp 1000 m sind wir bereits mitten im interior  -
„auf dem Land“, die Straße (eine der wichtigsten in Paraguay), und mit ihr die Verbindung zur Zivilisation, scheint endlos weit weg.
Aber man sollte sich nicht täuschen, auch die Familie, die wir nach 15 Minuten Fahrt über holprige Pisten erreichen, gehört zu den Kommittes und hat jahrelange Schulungen mit gemacht  -  wir treffen auf hellwache Bauern.
Das gilt ganz besonders für Tochter Raquel , die schon eingangs erwähnte Stipendiatin, deren Geschichte ich später extra aufschreiben will.
Sie spürt, dass wir schon ziemlich müde sind und beruhigt uns, sie wolle nur eine kurze Runde mit uns machen.

Die rote Beete ist klein wegen des fehlenden Regens, aber so lecker, dass man sie beinahe roh essen kann. Ich denke an unsere dicke  Rote Beete vom Niederrhein.
Ihr Garten kann sich sehen lassen, trotz der Trockenheit lockt da noch anderes schöne Gemüse, dass man sich am liebsten gleich einen Salat davon machen würde.
 
Vielleicht mit Spiegeleiern? Im Nest sind genug. Aber da irre ich  -  diese hier werden gerade ausgebrütet. Wir besichtigen noch kurz das Schwein und die schwarz-weiße Kuh, auch sie erinnert mich an den Niederrhein - dann geht es zurück zum Zentrum in 25 de Diciembre, wo am 1.Weihnachtstag vor 8 Jahren sich auch Raquels Leben änderte.

Die rote Erdstraße verschwimmt vor unseren Augen  -  vor lauter Müdigkeit.
Wie geht es den Leuten hier bei 40 Grad im Sommer  -  wir sind ja noch nicht mal im Frühling .......

Wir schauen die Bilder des Tages an, und anscheinend bin ich der einzige, der es nicht fassen kann, dass sogar unsere PPI-Homepage sich hier in diesem fernen Winkel anstandslos öffnet und ich den Zuschauern etwas von Kempen zeigen kann.

Claudino leitet den heutigen Kurs über die „Vermarktung bis nach Asunción“.
Er stammt aus Regina Marecos, wo ich ihn schon als 12jährigen kennen lernte, bevor er dann auch in die Landwirtschaftsschule ging.
„Bis heute Abend zur ´Fiesta´ in Regina!“
 
Fast hätte ich es vergessen: Niemals verlässt man in Paraguay auf dem Land eine Familie, ohne irgendetwas mit auf den Weg zu bekommen  -  das ist ganz undenkbar. Heute sind es dicke, erstaunlich süße pomelos, Pampelmusen, die Raquel uns noch fix vom Baum geschüttelt hat. Oscar lutscht schon eine aus, so wie man es in Paraguay macht: Schälen (aber nur die äußere gelbe Schale), oben ein Loch hinein schneiden, dann die Frucht, die jetzt an ein geschorenes Schaf erinnert, kräftig kneten und  -  Mund am Loch  -  aussaugen. Herrlich!

Kaum auf der Erdstraße, kommt uns Raquels Eselin mit dem Kälbchen (?) entgegen, Mutter und Kind waren ausgebrochen, Raquel musste sie noch schnell auf die ein ganzes Stück von ihrem rancho („Haus“) entfernte Weide bringen.

Als ich sehe, wie liebevoll Raquel mit dem „Eselkind“ umgeht, muss ich an ihr Kind und ihre eigene damit verbundene Geschichte denken, die sie mir erzählt hat:

Raquel Barrios, die am 12. September 18 wird (und das ist genau heute, wo ich davon schreibe, gleich rufe ich sie an) kommt mit ihren Eltern 2002
nach „25 de Diciembre“, so nennen die Campesinofamilien, zu denen auch die Barrios mit ihren drei Töchtern und dem Sohn gehören, ihr nach langen Jahren erkämpftes asentamiento (Siedlung). Der Staat hat ihnen schließlich Land überlassen müssen, ein Stück aus einem riesigen Großgrundbesitz, der unbewirtschaftet war und reines Spekulationsobjekt.
Auch die Barrios erhalten, wie jede Familie, ihre 7 ha zugewiesen, bekommen  aber vom Staat keinerlei Hilfen, nichts an Geräten oder Saatgut, von Krediten ganz zu schweigen, auch Schulbildung und Gesundheitsversorgung: Fehlanzeige!

Die aufgeweckte Raquel muss schon früh mit ran, das heißt raus auf´s Feld, wo sie, Lieblingstochter ihres Vaters, diesem gern bei allen Arbeiten zur Hand geht.
Die beiden Schwestern halten sich eher an die Mutter, von der sie vorgezogen werden. Dazwischen der Bruder.
Raquel will schon als kleines Mädchen „mehr lernen“, kämpft mit, dass in ihrem comite de base , einem der 7 Siedlungsschwerpunkte, die erste
Primarschule entsteht, leider zwar mit einem vom Staat vermittelten Lehrer, der lustlos und unfähig ist. Raquel erinnert sich mit Grausen an den Unterricht, aber auch an die „Lektionen“, die sie dem Lehrer erteilt habe.
Durch unsere Partner, das „Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung“, erfährt die zwölfjährige Raquel von der Landwirtschaftsschule in der Bauernkolonie Regina Marecos bei Juan de Mena und glüht danach, dort lernen zu dürfen.
Doch erst nach ihrem fünfzehnten Geburtstag kann sie ihren Traum verwirklichen. Sie wird als eine der wenigen auswärtigen Schüler aufgenommen und geht in die ca. 60 km entfernte Campesinokolonie, wo sie in einer Gastfamilie unterkommt.
Nur die Trennung vom Vater schmerzt sie, den sie nur alle paar Wochen sieht.
Doch zuvor erlebt Raquel Schreckliches.
In der Nähe ihres asentamiento wohnt ein 54jährger Landbesitzer, der ein Auge auf die Vierzehnjährige geworfen hat, ja ihr regelrecht nachstellt.

„Er war bei jeder Gelegenheit hinter mir her, ich wusste manchmal gar nicht, wie und wohin ich entkommen konnte. Er hat auch ständig Sachen zu mir gesagt, die ich damals überhaupt nicht verstanden habe  -  auch ganz hässliche.“
Ihre Mutter reagiert nicht auf Raquels Hilferufe, die beiden Schwestern sowieso nicht, und der Vater ist mit ihrem Bruder wieder einmal auf einer weit entfernten Arbeitsstelle, Raquel ersetzt ihn fast allein auf der finca der Familie.
Als der Vater schließlich kurz vor ihrem in Paraguay so wichtigen
fünfzehnten Geburtstag zurück kommt, erzählt ihm Raquel von den Nachstellungen.
Señor Barrios reagiert verhalten, der reiche Landbesitzer hat ihm nämlich Arbeit versprochen, sogar ganz in der Nähe.
Dass dieses kostbare Angebot mit der Lust des Mannes auf seine Tochter zu tun hat, dämmert dem Vater jetzt wohl.
Aber auf dem Land in Paraguay traut sich kaum jemand, dem Reichen und Mächtigen entgegen zu treten, uns so passt Vater Barrios wohl gut auf seine Tochter auf, wagt aber nicht, den Mann anzusprechen.
Der bietet ihm ein paar Tage vor Raquels Fünfzehnten eine Kuh für das Fest an, der Vater bringt es nicht  fertig, das „Geschenk“ abzulehnen. Raquel erinnert sich mit ganzer Empörung, als sei es gestern passiert:
„Ich wusste ganz genau, warum der das macht und habe Papa angefleht, die Kuh nicht anzunehmen, aber Mutter und die Schwestern haben das mit bekommen und sind furchtbar wütend geworden. Die wollten natürlich das schöne Fleisch haben.“
Für Raquel war die Feier eine traurige Veranstaltung, erst recht, als sich auch noch ihr Nötiger unangemeldet als Gast einfand.
In der Folge hat Raquel nur ein Ziel: Sie will um jeden Preis das notwendige Geld zusammen bekommen, damit ihr Vater es dem Landbesitzer für die Kuh auszahlen kann. In ihrer wenigen freien Zeit arbeitet sie als Köhlerin und wird am Verkauf der Holzkohle an das Stahlwerk acepar beteiligt. Den Vater hält sie aus allem raus, sie will ihn nicht in Verlegenheit bringen.                    

Schließlich hat sie die 1.300.000 Guaraníes zusammen, die rund 200 Euro für die Bezahlung des vergifteten Geschenkes, sie wartet einen Tag ab, an dem der unwillkommene Freier nicht da ist und legt den Umschlag mit den vielen Scheinen vor seine Tür.
„Ich habe einen Zettel dazu gelegt, ich weiß noch ganz genau, was ich geschrieben habe: ´Hier ist das Geld für die Kuh, die ich nicht haben wollte. Ich bezahle sie für meinen Vater, bitte lassen Sie mich jetzt in Ruhe, ich habe schon einen novio.´“ Den Freund hatte sie erfunden in der Hoffnung, auch damit den lästigen Anbeter zur Vernunft zu bringen.
Der aber nimmt nicht nur das Geld, sondern verstärkt noch sein Drängen, Raquel ist inzwischen schließlich 15 und damit fast eine Frau, außerdem hatte er sich mit seiner Kuh doch gewissermaßen ein Anrecht verschafft.
Dann kommt es zu der Begegnung, die Raquel ihr ganzes Leben lang verfolgen wird: Als sie mit ihrem Mofa in beginnender Dunkelheit auf dem Weg nach Hause ist, kommt ihr der Geländewagen entgegen, den sie schon kennt.
„Ich bekam eine Riesenangst, ich versuchte, schnell an dem Wagen vorbei zu kommen, aber der Mann hatte ihn quer gestellt und war schon ausgestiegen. 
Ich war merkwürdigerweise ganz sicher, was passieren wird.“
Und es passierte!

Bei unserem Besuch hat Raquels Mutter das Kind auf dem Arm, welches Raquel 9 Monate später -  genau an ihrem eigenen Geburtstag  -  zur Welt bringt, das sie liebt und für das sie alles tun wird, was sie kann.
Die Mutter war inzwischen  zur Vernunft gekommen.
„Die waren so hässlich zu mir, ich habe es kaum ertragen, sogar meine Mutter hatte kein Verständnis für mich. Meine Schwestern haben mich beschimpft und mein Leben noch schwerer gemacht. Statt mir zu helfen!“
Der Vater und der Bruder sind nicht da, sondern im Chaco als Tagelöhner.
Als Raquel es nicht mehr aushält, packt sie ihr Baby gut ein und fährt in den Chaco, wo sie Vater und Bruder findet und mit ihnen Land einzäunt, harte Männerarbeit.
Fast ein ganzes Jahr, dann geht sie nach 25 de Diciembre zurück.
Die Mutter hat also ihr Verhalten geändert, eine Schwester ist aus dem Haus, die andere schwer krank.
„Keine hat sich bei mir entschuldigt, nicht einmal meine Mutter. Me duele en el alma , das tut mir in der Seele weh. Aber ich wünsche meiner Schwester trotzdem, dass sie wieder gesund wird.“

Gerade habe ich Raquel angerufen und zu ihrem 18en Geburtstag gratuliert, es ist 7 Uhr morgens, in Paraguay eine fortgeschrittene Tageszeit. Ich höre per Handy die Stimmen am Haus, sogar einen Hahn krähen, vor allem aber das Stimmchen von Tochter Alicia, das Geburtstagskind, das heute 3 Jahre alt wird.                    
Raquel freut sich, sie hat die Kamera, die sie für ihre Dokumentationen im Landwirtschaftsstudium  bekam, schon ausprobiert und ist ganz glücklich damit.
Als ich sie vor einer Woche in Asunción traf, habe ich ihr auch eine schöne bestickte Bluse als vorgezogenes Geburtstagsgeschenk gekauft.
„Nein, die Bluse habe ich nicht an“, sagt sie leise, „ich will die anderen nicht neidisch machen. Aber bald ist Semesterabschluss an der Universität Santani, da ziehe ich sie an.“

Raquel wird zu Ende studieren, die Landwirtschaft liegt ihr, man muss sie nur einmal anpacken sehen. Wir werden sie weiter unterstützen.
Einen Tag nach unserem Besuch treffen wir sie tatsächlich in Regina Marecos.

Auf der Weiterfahrt nach Juan de Mena treffen wir auf der empedrada, dem letzten Teilstück aus grob behauenen Steinen, diese für diese Gegend seltsam anmutende Dreier-Radlergruppe.
Wenn schon unser Auto sich über dieses Pflaster quält, wie halten diese Biker auf ihren Sätteln das Gerappel aus?
Ganz unnötige Sorgen machen wir uns da: Die drei sind kampferprobt, haben schon ganz andere Strecken befahren, die beiden Kolumbianer sind seit über einem Jahr unterwegs, die junge Frau ist vor 3 Wochen zu ihnen gestoßen.
Sie haben sich für heute als Ziel Juan de Mena in den Kopf gesetzt.
„Und wenn´s noch ein paar Kilometer weiter wären?“, frage ich, „da wartet eine schöne fiesta auf euch, Essen und Trinken und bestimmt auch ein Bett....“,
lade ich sie ein.
Und tatsächlich schaffen sie -  es war schon 16 Uhr, um 18 Uhr fängt die Dämmerung an  -  die Strecke zur Landwirtschaftsschule und erscheinen pünktlich zum Beginn der fiesta. 

Die „Fiesta de la Semilla Nativa y del folclore campesino“  - „Fest des heimischen Saatgutes und der Campesinoflolklore“ (wow!) findet zum zehnten Mal statt, das Schulteam unserer Partner führt gerade die lang einstudierte Tanznummer vor. 1000 Festgäste applaudieren. Internet und Beamer sind hier inzwischen selbstverständlich  -und so kann ich wie geplant Fotos aus Deutschland und Paraguay zeigen.

Mindestens einer ist fasziniert. Und auch ich bekomme eine Urkunde.

Die Schule zeigt ihre Arbeit, organisiert Musik und Verpflegung, erhebt Eintritt   -   genau wie bei unseren Schulfesten  -  und kriegt so auch ein bisschen Geld in die Kasse für Anschaffungen.
Die drei Radler fühlen sich wohl, sie haben einen ganzen Schulklassenraum in Beschlag genommen.

Unser langjähriger Partner Sixto  -  jetzt Senator  - ist auch da mit CCDA - Nachfolgerin Ada, seiner Ehefrau. Oscar friert, es ist empfindlich kühl geworden
Es wird bis um 2 Uhr getanzt und gesungen  -  und dieses Mal auch kräftig getrunken.
Und da ist auch Doña Marta, die schöne Zwiebelpflanzerin vom letzten Jahr.

Ausbildungszentrum für ländliche Entwicklung (CCDA)

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Fundación Celestina Pérez de Almada

Padre Oliva - Bañados del Sur

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